Mittwoch, 6. August 2008

Allein unter 1,3 Milliarden (Chinesen)

Ein Buch-Tipp von einem besorgten Freund aus dem schönen, nicht-olympischen Wien.

Text des Buch-Tipps:

Christian Y. Schmidt, ehemals Redakteur der Satirezeitschrift Titanic, hat einen Sinn für Ausgefallenes. Um China und die Chinesen besser zu verstehen, reist er rund 6000 Kilometer quer durch das Land. Chinesisch kann er nicht lesen und kaum sprechen. Ein Abenteuer, bei dem er sich fast jeden Luxus versagt, um authentische Eindrücke zu gewinnen. Was ihm unterwegs alles wiederfährt und in welch absonderliche Situationen er gerät, davon handelt sein Buch "Allein unter 1,3 Milliarden".

Reise mit öffentlichen Bussen
Schmidt fühlt sich als halber Chinese. Seit Jahren lebt er in Peking mit einer Chinesin zusammen. Nun möchte er ein ganzer Chinese werden. Einmal in dem Riesenreich China nur auf sich allein angewiesen sein. Er beschließt, die Nationalstraße 318 von Shanghai bis Tibet zu bereisen, mit öffentlichen Bussen.

"Weil es ein wirklich chinesischer Bus ist, läuft eine DVD mit einer Fernsehshow. Die Chinesen lieben es, auf Reisen beschallt und beflimmert zu werden. Die Landschaft draußen interessiert sie nicht, solange man sie umsonst betrachten kann, denn das heißt ja: Sie ist nichts wert. Draußen tauchen die ersten Reisfelder auf, drinnen kommt die übliche Tibetnummer. Sie ist auch für den Chinalaien leicht zu identifizieren, da Tibeterinnen in Fernsehshows immer rote Cowboyhüte tragen. Außerdem quäken sie mehr, als dass sie singen. Danach stürmt ein dicker Sänger die Bühne. Er singt ein Medley chinesischer Hits, trinkt zum Schluss vor der Kamera ein Maß Bier und verabschiedet sich vom Publikum mit einem lauten Rülpser."

Ich kann alles essen

Für solch eine Reise braucht man Abenteuergeist, Experimentierfreudigkeit, Offenheit in allen möglichen und unmöglichen Momenten. Schmidt hat dies. Er ist ein flexibler Typ. Auch in seinen Essgewohnheiten ist er nicht zimperlich: "Ich kann eigentlich alles essen. Ich esse von Hühnerfüßen über Schweinepenis, der mir untergekommen ist auf dieser Reise, bis hin zu Heuschrecken und Skorpionen eigentlich alles, was die chinesische Küche hergibt. Ich hab auch schon mal Hund gegessen, kann allerdings nicht sagen, wie der schmeckt, weil die Sauce intensiver war als der Hund."

Besonders komisch und lebendig erscheint das Buch in den Momenten, in denen der Autor von Begegnungen mit Menschen berichtet. Wie etwa der stämmigen Masseurin, die mehr möchte, als den Ausländer nur massieren oder den beiden Männern, die sich für seine Armbanduhr interessieren.

Deutsche haben Geld

"'Armani clock? Very gudde. Deutsche haben viel Geld.' Diese Ansicht wird in China öfter geäußert. Den Geldbesitz weise ich in dieser Pauschalität zurück. 'Wo mei you - Ich habe keins.' Doch das will man mir nicht so leicht glauben. 'Deine Schuhe sehen teuer aus. Was haben sie gekostet?' 'Bu gao su ni' - das sage ich dir nicht. 'Deine Uhr ist auch teuer. Willst du tauschen?' Jetzt würde ich gern antworten: 'Ich bin doch nicht bescheuert', doch dafür reicht mein Wortschatz leider nicht."

Aus dem echten Leben

Schmidts Buch ist in herrlichster Umgangssprache geschrieben. Er schreibt, was er denkt und scheut auch nicht davor zurück, Vorurteile zu bestätigen. Egal, ob über arrogante Ausländer, die in China leben oder über pragmatische Chinesen, bei denen er häufig neben erstaunlicher Geduld auch grenzenlosen Pragmatismus und wenig Mitgefühl für andere feststellt - ein erfrischendes Buch, dem echten Leben entnommen.

Allein unter 1,3 Milliarden

Schmidt, Christian Y.

288 Seiten / 19,90 €

3871346020

Rowohlt Berlin

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